Robert Farnon
Superlative gab es zu Genüge über ihn. Als ungekrönten König der „Light Music“ hat man ihn bezeichnet; Kollegen wie André Kostelanetz, André Previn und Don Costa sahen in ihm „den besten Arrangeur für Streicher weltweit“; Frank Sinatra war am prägnantesten und nannte ihn einfach „The Guv’nor“ – den Chef. Und in Großbritannien, wo seine Popularität noch größer war als in seiner kanadischen Heimat, firmierte Robert Farnon mitunter als „Genie von der Insel“, bezogen auf Guernsey, jenes kleine britische Eiland im Ärmelkanal, auf der er seit 1959 zuhause war. Dort ist er auch gestorben, am 23. April 2005 mit 87 Jahren, und der BBC war das ein neunzigminütiges Radiospecial wert, das Anfang Juni ausgestrahlt wurde und in dem viele alte Wegbegleiter wie Tony Bennett zu Wort kamen.
Das musikalische Talent schien Bob Farnon, der am 24. Juli 1917 im kanadischen Toronto geboren wurde, in die Wiege gelegt wie seinen Geschwistern – sein älterer Bruder Brian Farnon (*1911) arbeitete jahrzehntelang als Orchesterleiter in Kalifornien, Las Vegas und Lake Tahoe (wo er unter anderem auch zahlreiche Sinatra-Konzerte begleitete) und ist heute noch, mit 94 Jahren, aktiv. Sein jüngerer Bruder Dennis Farnon (*1923) machte sich vor allem mit Musiken für Zeichentrickserien wie „Mr Magoo“ einen Namen.
Robert Farnons Instrument war die Trompete, und seine erste Heimat der Jazz & Swing der Dreißiger Jahre. Schon mit Anfang 20 wurde er Leadtrompeter beim Rundfunkorchester der Canadian Broadcasting Corporation (dem Pendant zur britischen BBC). Als dessen Leiter Percy Faith dann 1940 von Kanada in die USA ging und dort seine erfolgreiche Big-Band-Karriere fortsetzte (u.a. auch mit Plattenaufnahmen mit Sinatra), übernahm Farnon die Leitung des CBC-Orchesters und nutzte die neuen Freiheiten auch zu ersten eigenen Kompositionen, die u.a. bei Paul Whiteman und André Kostelanetz Aufmerksamkeit fanden. 1944 kam er im Zuge der aliierten Truppenbetreuung nach England, spielte u.a. an der Seite von Glenn Miller – und entdeckte die spezielle englische Tradition der „Light Music“ für sich, der er sich fortan verschrieb und durch die Großbritannien seine neue Heimat wurde.
Mit seinem eigenen Orchester gehörte Farnon bereits Ende der Vierziger Jahre zu den populärsten Musikern der Britischen Inseln, war regelmäßig in der BBC zu hören, und die englische Abteilung des Decca-Labels verpflichtete ihn als Hausarrangeur. Seine Arrangements für namhafte Vokalisten ebenso wie für Instrumentalproduktionen unter eigenem Namen beeinflußten viele Nachwuchsmusiker, wie etwa Sinatras spätere Wegbegleiter Don Costa oder Quincy Jones. Farnon begleitete englische Ikonen wie die Sängerin Vera Lynn, und Eigenkompositionen wie „Journey Into Melody“, „A Star Is Born“ oder „Westminster Waltz“ gehören bis heute zu den beliebtesten Melodien Englands. Daneben arbeitete er auf zahlreichen Filmsoundtracks, wie etwa „Captain Horacio Hornblower“ (mit Gregory Peck) oder „The Road To Hong Kong“ (mit Bob Hope, Bing Crosby und Sinatra, 1962).
Im Juni 1962 nahm Farnon in einem Londoner Plattenstudio für Reprise zusammen mit Sinatra das Album „Great Songs From Great Britain“ auf, das einzige außerhalb der USA entstandene Album von The Voice. Und auch wenn die Umstände nicht die besten waren – Sinatra hatte gerade seine zweimonatige Welttournee mit dem Bill-Miller-Sextet beendet und zeigte sich stimmlich, jedenfalls aus seiner eigenen Sicht, nicht ganz auf der Höhe, so daß die Platte zunächst nur in Europa herauskam – , so demonstrierte Farnon doch in seinen Arrangements für Sinatra die ganze Bandbreite seines Könnens. Und Lieder wie „A Nightingale Sang In Berkeley Square“ oder „Roses Of Picardy“ gehören sicher zu den schönsten jemals für Sinatra geschriebenen Streicherarrangements. Leider blieb es Farnons einzigste Zusammenarbeit mit Sinatra, den er schon zu Dorsey-Zeiten bewundert hatte: „Sein Gesang war schlichtweg einmalig – unglaublich – der wohl beste Liedinterpret aller Zeiten“.
Seine Zusammenarbeit mit international renommierten Solovokalisten setzte Farnon dann ab 1963 mit Sarah Vaughan fort, und dann ab 1968 vor allem mit Tony Bennett, den er außer auf einer ganzen Reihe von Studioalben auch bei zahlreichen Fernsehauftritten begleitete. Ein besonderer Höhepunkt war Bennetts Auftritt zur Hundertjahrfeier der Londoner Royal Albert Hall 1971, bei der Farnon für Tony die Londoner Philharmoniker dirigierte und das zu den großen Sternstunden des ehrwürdigen Konzerttempels zählt. „Sein Gespür für den Kern einer Melodie“, sagte Bennett im Gedenken an Farnon vor wenigen Wochen, „war unübertrefflich“.
Bis in seine letzten Lebenstage hinein arbeitete Farnon an neuen Projekten. Eins seiner letzten Werke war eine neue komplette Symphonie (seine dritte, mehr als sechzig Jahre nach seinen ersten Versuchen in diesem Genre), die er für das jährliche Sommermusikfestival im schottischen Edinburgh komponierte. Die Uraufführung am 14. Mai 2005 aber hat er nun nicht mehr erleben können. „Seine Stimme wird fehlen“, sagte ein bewegter Tony Bennett. Um sein musikalisches Erbe und seine Bewahrung muß man sich dennoch keine Sorgen machen – die britische Robert-Farnon-Society ( sehr umfassende Website unter http://www.rfsoc.org.uk ), die 2006 ihr 50jähriges Jubiläum wird begehen können und mit der Farnon besonders in den letzten Jahren für zahlreiche Veröffentlichungen und Wiederveröffentlichungen seiner Platten auf dem eigenen Label „Vocalion“ eng zusammenarbeitete, wird das Vermächtnis des „Guv‘nor“ bewahren.
© Bernhard Vogel & The Main Event 2005. Dieser Artikel erschien erstmals im Magazin der Deutschen Sinatra Society e.V. #18, August 2005.